Thin-Air-Project

Vor drei Monaten erhielt ich die Nachricht, dass das Silk Road Mountain Race dieses Jahr wohl nicht stattfinden wird. Alles war schon organisiert, Flüge nach Kirgistan etc., mein Vater wollte mich vor und nach dem Rennen supporten und währenddessen selbst das Land erkunden. Die Alpen und Pyrenäen waren sofort als Alternative auf dem Radar. Mit den Grenzöffnungen im Juni in Europa wurden die Alpen ein realistisches Ziel. Ich war schon oft mit dem Rad in den Alpen unterwegs, aber wie wäre es alle 2000er Pässe hintereinander möglichst zusammenhängend zu fahren? Diese Idee liess mich nicht mehr los und ich fing an die Route zu planen. Das Thin-Air-Project war geboren. 58 Pässe über 2000m plus einige andere, die auf dem Weg liegen und zu schön sind, um sie auszulassen, war das Ergebnis der Planung. Eine echte sportliche Herausforderung, verpackt in einem coolen Trip mit meinem Vater. Zentraler Bestandteil in der Planung war der umgebaute Camper-Van. Unabhängig, praktisch und schnell. Fraglich war nur, ob es am Ende wirklich funktioniert 2500km und zwischen 70.000 und 80.000 Höhenmeter in etwas mehr als 2 Wochen zu fahren. Das wären im Schnitt um die 4500hm pro Tag. Get rich or die tryin’ war das Motto.

Foto 16.08.20, 22 39 33 (2)

Österreich: Bielerhöhe, Kühtai, Timmelsjoch, Staller Sattel, Grossglockner, Nockalmstrasse

Foto 15.08.20, 08 29 40

Die Bielerhöhe war der erste Pass. Super Beine, voller Tatendrang und naiv ging es los. Am Kühtai die Canyon Sram Girls getroffen und danach am Timmelsjoch verglüht. Beine auf 800hm/Stunde justiert, angenehmes Tempo. Biathlon Hochburg Antholz auf dem Weg zum Staller Sattel passiert. Keine Dorothea Wierer gesehen. Gefroren am Grossglockner bei einstelligen Temperaturen und Nieselregen. Komplett geduscht an der Nockalmstrasse.

Foto 16.08.20, 22 39 32 (1)

Italien: Jaufenpass, Penserjoch, Würzjoch, Zoncolan, Sella di Razzo, Tre Cime di Lavaredo, Passo Giau, Passo Falzarego, Passo Valparolo, Grödener Joch, Sella Joch, Passo Pordoi, Passo Fedaia, Passo di San Pellegrino, Passo Valle, Passo Rolle, Passo Brocon, Passo Manghen, Passo dello Stelvio, Passo di Gavia, Passo di Mortirolo, Forcola di Livigno, Passo d’Eira, Passo Foscagno, Splügenpass, Kleiner Sankt Bernhard, Colle delle Finestre, Colle delle Assietta, Colle di Sampeyre, Colle di Esischie, Col de la Lombarde.

Foto 16.08.20, 22 39 32 (2)

Foto 16.08.20, 22 39 30

Der Jaufen und ich werden keine Freunde mehr, egal von welcher Seite. Wunderschönes ruhiges Friaul und mit den Traumpässen Zoncolan und Sella di Razzo. Im Kontrast dazu die touristischen Dolomiten. Einsamer Camping Spot unter den drei Zinnen auf 2300m. Mit Singlespeed die letzten 3KM weil die Batterie im Shifter leer war. Dazu leichte Höhenkrankheitssymptome über Nacht. Hotspot Cortina d’Ampezzo. Überfüllte und dadurch stressige Sella-Runde mit wunderschönem Finale am Fedaia. Manghen als Abschluss der Dolomiten. Bei 35 Grad reingefahren, bei 7 Grad im Regen oben angekommen. Danach Pizza, Transfer und Ruhetag im Vinschgau. Königsetappe Start um 4.00 Uhr, im Mondlicht auf den Stelvio. Highlight. Weiter über Gavia und Mortirolo. 198km mit 6700hm am Ende. Zwischen der Schweiz und Frankreich über den Kleinen Sankt Bernhard. Viel Blitzlichtgewitter und Regen. Einfach immer weiter. Von Susa auf den Finestre. Der ist sofort unter den Top 5 Pässen überhaupt. Verwunschener, mysthischer Wald mit 1000 Serpentinen auf den ersten 10km. Dann Gravel bis auf über 2100m. Dad fährt direkt nach Sestriere, ich nehme die Assietta Höhenstrasse. Die 38mm Reifen sind gerade breit genug.

Foto 14.08.20, 17 01 25

Eine Traumstrasse! Von Sestriere frisch endorphinisiert nach Frankreich. Im Piemont wieder die Gravellaufräder gewünscht. Wunderschöne 2000er Pässe die keiner kennt, mit Strassenverhältnissen, die keiner kennen möchte (Sampeyre, Esischie). Die Abfahrten waren anstrengender als die Auffahrten, vor allem für den Kopf. Es fällt schwer die Konzentration hoch zu halten. Letzter Pass in Italien der Col de la Lombarde Richtung Isola 2000. Der untere Rücken ist langsam deutlich spürbar. Cola ist ein Zaubertrank.

Foto 16.08.20, 22 39 32 (3)

Schweiz: Umbrail, Bernina, Ofenpass, Flüela, Albula, Julier, San Bernadino, Lukmanier, Oberalp, Susten, Grimsel, Furka, Gotthard, Nufenen, Simplon, Grosser Sankt Bernhard.

Foto 16.08.20, 22 39 33 (1)

Sonnenaufgang am Umbrail und *****kalte Abfahrt nach Bormio. Endlose heisse 1900hm zum Bernina. 24h danach Traumrunde im Engadin. Kurzes Polizeiintermezzo am San Bernadino, Regen am Lukmanier, Sturm am Oberalp. Die Beine halten sich überraschend gut. Dad ist auch gut drauf, tut alles was er kann um mir das Leben zu erleichtern. Film und Foto-Besuch aus Deutschland für zwei Tage. Viel Spass für alle Beteiligten. Weiter Richtung Westen und die Schweizer Klassiker Grimsel, Furka Susten. Sprung in den See im Wallis, danach Bremsbeläge gewechselt. Auf der Simplon-Autobahn gegen die LKWs gekämpft. Transfer zum Grossen Sankt Bernhard. Schön leer auf dem Weg nach oben und überfüllt am Pass.

Foto 16.08.20, 22 39 30 (3)

Frankreich: Col de l’Iseran, Mont Cenis, Montgenevre, Col d’Izoard, Col d’Agnel, Cime de la Bonette, Col d’Allos, Col des Champs, Col de la Cayolle, Col du Vars, Col du Lautaret, Col du Galibier, Col du Telegraphe, Col de la Croix de Fer, Col du Glandon, Col de la Madeleine.

Foto 16.08.20, 22 39 29

Zum Frühstück nach 1000hm 2 Eclair in Val d’Isere. Super schöner Pass, viele Radfahrer. Überholt von einer Frau, wieder aufgefahren mit 350W, um Ihr einen Heiratsantrag machen. Sprachliche Schwierigkeiten, danach höchster Wattouput bis zum Pass. Lange Abfahrt zum Mont Cenis, viel los, schöner See, ab ins Piemont. Montgenevre Grenzübergang Richtung Briancon. Endlich wieder Pizza. Col d’Izoard. Noch ein Klassiker. Casse Deserte auf der Rückseite. Rollt so gut, dass ich den Agnel noch halb hochfahre. Super schöner Camping Spot im Hochtal auf 2100m. Am nächsten Morgen um 7.00 Uhr bei 4 Grad weiter Richtung Italien. Am Ende zurück in Isola 2000, wieder alles voll Menschen. Gemeindefest in Isola im Tal, keine Restaurants offen. Pasta in der Feldküche. 500g zu zweit kein Problem. Kurze Nacht im Tal und hoch zum höchsten Punkt auf den Cime de la Bonette auf 2800m. Nichts los um 7.00 Uhr, bestes Wetter, ein Traum. 9 Uhr oben läuft. Col d’Allos als nächstes, mittlerweile wieder mehr los. Dad oben verpasst und weitergefahren, er hat mich auch nicht gesehen und gesucht, ich war aber schon auf dem Weg zum nächsten Pass. 100km später hatten wir uns wiedergefunden. Col des Champs –Traumpass. Vom Gewitter auf den Cayolle gejagt worden. 3km vor dem Gipfel gegen die Natur verloren. Egal 3km gehen immer. Oben ins Auto und später zum Nachtisch Col du Vars. Letzter Tag. Erstmal Galibier zum Frühstück. Die Beine schaffen immer noch 800hm/Stunde. Absolute Diesel-Beine. Keine harten Efforts möglich, aber im mittleren Bereich 8-10 Std kein Problem. Next: Col de la Croix de Fer. Dad und ich müssen lachen, weil wir langsam runterzählen bis es vorbei ist. Noch die letzte tricky Abfahrt vom Glandon überstehen. Rein in den Madeleine. Nochmal fast 2Std berghoch. Ich fange an zu reflektieren, versuche mich an alle Pässe zu erinnern. Dad versorgt mich mit Cola. Dann war es soweit. Leicht perplex stehen wir beide auf dem Madeleine, trinken eine gekühlte Orangina und schauen in die Ferne, ohne viel dabei zu sagen. Ein intensiver Trip für uns beide. Das erste Mal entspannen seit 18 Tagen.

Foto 16.08.20, 22 39 30 (1)

Das Projekt war am Ende in der Tat eine echte Herausforderung. Sowohl auf und neben dem Rad. Es war superspannend die Komfortzone jeden Tag neu zu verlassen. Nie wusste man wann der Punkt kommt und wie man damit umgeht. Klar gab es auch dunkle Momente, aber da wieder rauzukommen und immer positiv zu bleiben war einfach lit. Auf dem Rad habe ich mich so lebendig&frei wie selten zuvor gefühlt. Auf den zum Teil schönsten Strassen der Welt.

Processed with VSCO with p5 preset

Vereint mit meinen Dad haben wir 18 Tage das Ziel verfolgt die Herausforderung zu meistern. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für uns beide gewesen, als wir es am Ende geschafft haben. Wir waren über diese Zeit ein super eingespieltes Team, jeder hatte seine Aufgaben im Vanlife 2.0. Durch die anspruchsvollen Etappen war nach der Etappe immer direkt wieder vor der Etappe und so standen wir die 18 Tage unter Strom, ohne grosse Ruhephasen. Dabei waren wir immer positiv gestimmt und hatten sehr viel zu lachen. Ohne meinen Vater wäre dieser Trip nicht möglich gewesen. Danke. Neben den ganzen Zahlen bleibt am Ende vor allem eines in Erinnerung. Ein Trip an den wir beide uns für immer erinnern werden. And that’s what it’s all about ‘right?

Processed with VSCO with p5 preset

2455km

76.000hm

70 Pässe davon 58 asphaltierte Pässe über 2000m

18 Tage

1 Lifetime Experience.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s